GROSSE FREIHEIT Film Startposter

Zum Film

Hans Hoffmann liebt Männer. Das ist verboten im Deutschland der Nachkriegszeit, der berüchtigte Paragraph 175 ist weiter in Kraft. Immer wieder landet Hans im Gefängnis. Und immer wieder trifft er hier Viktor, einen verurteilten Mörder. Aus anfänglicher Abneigung entwickelt sich über die Jahre eine Verbindung gegenseitigen Respekts. Eine Schicksalsgemeinschaft, verbunden durch eine unstillbare Sehnsucht nach Freiheit und Leben. Oder ist es, allen Widerständen zum Trotz, Liebe?

Festival de Cannes 2021
Un Certain Regard 
Preis der Jury


Offizieller österreichischer
Kandidat Academy Award: Best International Film

Sarajevo Film Festival 2021 
Bester Film • CICAE Award • Bester Schauspieler: Georg Friedrich

Festival 2 Cinéma Valenciennes 2021 
Grand Prix - Bester Film • Bester Schauspieler: Franz Rogowski

Athen International Film Festival 2021
Publikumspreis • Preis der griechischen Filmkritik: Beste Regie

Hamptons International Film Festival 2021
Special Jury Prize for Exceptional Performances - Franz Rogowski

Festival du Nouveau Cinéma De Montréal 2021
Louve d'Or - Bester Film

Waterloo Historical Film Festival 2021
Bester Schauspieler: Franz Rogowski

Filmfest Hamburg 2021 
Eröffnungsfilm

 

GROSSE FREIHEIT

Mit Franz Rogowski, Georg Friedrich, Anton von Lucke, Thomas Prenn • Bildgestaltung: Crystel Fournier, afc • Szenenbild: Michael Randel • Kostümbild: Tanja Hausner, Andrea Hölzl • Maskenbild: Heiko Schmidt, Roman Braunhofer, Kerstin Gaecklein • Casting: Eva Roth, Benjamin Roth • Tongestaltung: Jörg Theil, Atanas Tcholakov, Manuel Meichsner • Montage: Joana Scrinzi, aea • Musik: Nils Petter Molvær, Peter Brötzmann • Produzent:innen: Sabine Moser, Oliver Neumann, Benny Drechsel • Drehbuch: Thomas Reider, Sebastian Meise • Regie: Sebastian Meise

Eine Produktion von FreibeuterFilm & Rohfilm Productions • Mit Unterstützung von Österreichisches Filminstitut (ÖFI), Mitteldeutsche Medienförderung, BKM, DFFF, ORF Film/Fernseh-Abkommen, Filmstandort Austria, Filmfonds Wien, Medienboard Berlin-Brandenburg und ZDF • Verleih gefördert von Medienboard Berlin-Brandenburg, BKM und FFA / Neustart Kultur • Im Verleih der Piffl Medien

Trailer

Kinofinder

GROSSE FREIHEIT

 
Zur Zeit leider keine Einsätze!
GROSSE FREIHEIT | Film | Franz Rogowski - Gitter

Presse­stimmen

Intensiv, schockierend und wunderschön.
THE HOLLYWOOD REPORTER

Dieser Film braucht keine großen Worte, er braucht nur Franz Rogowski und Georg Friedrich.
DEUTSCHLANDFUNK KULTUR

Sebastian Meise ist ein kleines Wunder gelungen. Was beginnt als Geschichte des Überlebens in einer feindseligen Umwelt, offenbart sich als episches, Jahrzehnte überspannendes Epos einer Sehnsucht.
BLICKPUNKT FILM

Von bedrängender Intensität... Ein großer Wurf.
FILMDIENST

Ein langsam schwelendes Drama, wunderbar gefilmt, mit einer Lichtsetzung, die an Vermeer und Rembrandt erinnert.
SCREEN DAILY

Ein berührendes, starkes Drama und, ja, eine Liebesgeschichte.
SALON

Emotional überwältigend… Die Struktur der ineinander verwobenen Zeitebenen gibt der Erzählung zusätzlich Geheimnis und Tiefe und zieht die Zuschauer den ganzen Film über in Bann. Die Bildgestaltung von Crystel Fournier ist große Kunst.
UNIVERSAL CINEMA

Packend, einfühlsam und tief bewegend
VARIETY

Ein Film über die innere Freiheit zu sein, was man wirklich ist; über einen Widerstand, der weniger gegen das System kampft als seine Lücken nutzt. Und schließlich: Was man mit der realen großen und wahren Freiheit tun soll, wenn sie da ist, aber man sein ganzes Leben ohne sie leben musste.
LETTERBOXD

Ein großer Film.
CINEMATEASER FRANCE

Eine unglaublich starke Geschichte, getragen von den herausragenden Darstellern. Franz Rogowski beweist mit dieser unvergesslichen Performance einmal mehr, dass er einer der besten Schauspieler der Welt ist.
POLYESTER FRANCE

"Große Freiheit" ist ein Film, der versteht und erzählt, wie das Herz sogar dann noch fliegen kann, wenn es bricht.
INREVIEW

Eine wunderbare Liebesodyssee… Die Liebe als einziger Ausweg, das ist es, was der Filmemacher zeigt. Die menschliche Wärme in einer feindlichen und brutalen Welt. Am Ende entführt uns Sebastian Meise in einen der schönsten Epiloge, die in letzter Zeit zu sehen waren, ohne Worte, ohne Erklärungen. Nur die Geste eines Mannes, der draußen wartet, um den einzigen Menschen wiederzufinden, den er lieben kann, ohne dessen Leben zu zerstören.
ECRAN NOIR

GROSSE FREIHEIT | Film

Synopsis

Hans Hoffmann liebt Männer. Als ihn die Soldaten der Alliierten nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus aus dem Konzentrationslager befreien, ist seine Leidenszeit noch nicht zu Ende. Hans wird in den Regelvollzug überstellt, um seine Reststrafe abzusitzen – nach Paragraph 175, der hier in Westdeutschland unverändert in Kraft ist.

Im Gefängnis begegnet Hans dem verurteilten Mörder Viktor. Der will mit einem "175-er" nichts zu tun haben. Doch Hans' rebellischer, stoischer Stolz, der sich auf dem Gefängnishof und gegen die Willkür der Wärter zu behaupten weiß, nötigt ihm Respekt ab. Wieder und wieder landet Hans, der Wiederholungstäter, im Gefängnis. Und immer ist da Viktor, der Lebenslängliche. Sie kennen sich.

Hans will sich nicht unterwerfen. Er will leben und lieben. Mit Oskar erlebt er eine glückliche, verliebte Zeit, fast unbeschwert trotz dem unaufhörlichen Zwang, sich verstecken zu müssen. Dann weist der Paragraph 175 auch diese Beziehung in die Schranken. Im Gefängnis treffen sie sich wieder. Der erfahrene Hans hilft Oskar, der unbarmherzigen Härte des Knastalltags zu begegnen. Selbst hier finden sich Mittel und Wege für heimliche Treffen, selbst hier vermag Hans Glück zu empfinden. Aber Oskar ist für dieses Leben nicht gemacht, die Konfrontation, das Verheimlichen, die trügerische Aussicht auf eine Freiheit da draußen. Er weiß sich nicht mehr zu helfen.

Jahre später. Im Gefängnis verliebt sich Hans in seinen Mitgefangenen Leo, einen Musiklehrer. Aber er ist vorsichtig geworden. Er will niemanden mehr gefährden mit seiner eigenen Sehnsucht. Mit einer Falschaussage vor Gericht verhilft er Leo zur Freilassung. Seine eigene Strafe wird heraufgesetzt.

Wieder und wieder begegnen sich Viktor und Hans über die Jahrzehnte, diese beiden so ungleichen Männer, und ringen den Schikanen und der Gewalt im Knast kleine Freiräume und Zufluchten ab. Sie vertrauen sich, sie kennen die Umstände, denen sie standhalten müssen, und die kleinen Tricks, die ihnen Luft zum Atmen verschaffen. Eine Schicksalsgemeinschaft, verbunden durch eine unstillbare Sehnsucht nach Freiheit und Leben. Oder ist es am Ende, allen Widerständen zum Trotz, Liebe?

GROSSE FREIHEIT | Film

Interview mit Sebastian Meise

Was war der Ausgangspunkt, der Anstoß zu "Große Freiheit", mit dem fast ausschließlichen Setting im Gefängnis?

SEBASTIAN MEISE: Was für Thomas und mich am Anfang stand, war der Gedanke: Stell dir vor, du lebst in einer Welt, in der Liebe per Gesetz verboten ist und mit Gefängnis bestraft wird. Das klang für uns wie eine Dystopie, die uns an Orwells 1984 denken ließ. Dafür wollten wir eine Form finden. Hans' Lebensgeschichte auf seine Stationen im Gefängnis zu fokussieren, schien uns der richtige Weg, eine universelle Geschichte zu erzählen. Mauern, Gitterstäbe, und Uniformen sind zu jeder Zeit, an jedem Ort dieselben. Ähnlich einer Dystopie ist ein Gefängnis ein Un-Ort, ein Nirgendwo. Und ähnlich einer Dystopie handeln Gefängnisgeschichten stets von Individuen im Kräfteverhältnis körperlicher und seelischer Gewalt.

Gibt es eine reale Figur, die Sie zu Ihrer Hauptfigur Hans Hoffmann inspiriert hat?

SEBASTIAN MEISE: Ausgangspunkt für Hans' Geschichte waren reale Fälle schwuler Männer, die von den Alliierten aus dem KZ befreit, von dort aber direkt ins Gefängnis überstellt wurden, um ihre Reststrafe laut §175 abzusitzen. Die Verfolgung war für sie nicht vorbei, denn Homosexualität blieb bis weit in die Nachkriegszeit hinein illegal. Es ist kaum zu glauben, mit welcher Akribie, welchem Einfallsreichtum und abstrusem Aufwand der Staat zahllosen, völlig harmlosen Männern hinterherjagte. Erst das Stöbern in Archiven und Gespräche mit Zeitzeugen eröffneten uns das gesamte absurde Ausmaß der Verfolgung, das in unserem geschichtlichen Bewusstsein so gut wie nicht vorhanden ist, obwohl es so weitreichend war, dass es bis heute nachwirkt. Unsere Hauptfigur Hans steht dabei fast exemplarisch für die zahllosen Schicksale von Menschen, die immer wieder unschuldig im Gefängnis landeten, deren Existenzen und Beziehungen zerstört wurden und deren Geschichten in den Akten der Bürokratie verschwanden.

GROSSE FREIHEIT | Film

Wie entstand aus dieser historischen Gemengelage die Struktur der Geschichte?

SEBASTIAN MEISE: Unsere Grundidee war, Hans' Geschichte anhand seiner Gefängnisaufenthalte zu erzählen. Das Gefängnis ist die wiederkehrende Konstante in Hans' Leben, die für ihn zu einer nicht enden wollenden Zeitschleife wird. Die Dunkelheit der Isolationszelle wird dabei zu einer Art Wurmloch, in dem wir mit ihm durch die wichtigen Stationen seines Lebens reisen. Das führte uns zu der achronologischen Erzählweise.
Hans befindet sich in einem seltsam unauflösbarem Zustand: Kaum ist er in Freiheit, wird er auch schon wieder verfolgt. Es wird ihm letztlich also sein Leben verboten, denn er kann ja nicht einfach aufhören, zu sein, wer er ist. Das beinhaltet aber auch eine ungeplante Rebellion, die ihn immer wieder an diesen Ort führt.

Wo er immer wieder auf einen verurteilten Mörder trifft.

SEBASTIAN MEISE: Viktor ist mit diesem Ort verwachsen. Als Mörder verbüßt er eine lebenslange Haftstrafe. Er mag einem zunächst als grob und brutal erscheinen, in seinem Wesen ist er jedoch so zerbrechlich und einsam, wie alle Menschen. Auch Hans ist im Grunde ein lebenslänglich Verurteilter und ausgerechnet in Viktor findet er einen Vertrauten und die Akzeptanz, die ihm die Gesellschaft nicht zugestehen will. Im Lauf der Jahre treffen sich diese beiden geächteten Männer immer wieder und so grundverschieden sie auch sein mögen, haben sie das gemeinsam, was uns vermutlich alle verbindet: die Sehnsucht nach menschlicher Nähe, Zuneigung und Zärtlichkeit.

Die Rückblicke in die Freiheit erzählen Sie über Super-8-Bilder, die zum einen von einer Überwachungskamera, zum anderen über private Aufzeichnungen kommen. Welche Gedanken stehen hinter dieser Entscheidung?

GROSSE FREIHEIT | Film

SEBASTIAN MEISE: Diese Form der Kameraüberwachung gab es wirklich. Da die Liebe zwischen Männern kriminalisiert war, mussten sich schwule Männer Orte schaffen, an denen zumindest flüchtige Begegnungen stattfinden konnten. Das waren unter anderem sogenannte 'Klappen', öffentliche Männertoiletten, die von der Sittenpolizei eifrig und mit großem Ideenreichtum ausgeforscht wurden. Durch halbdurchlässige Spion-Spiegel wurden hier heimlich Filmaufnahmen erstellt, die vor Gericht als Beweismittel dienten. Diese Aufnahmen sind zum Teil erhalten, nicht aus Deutschland, aber aus den USA. Wenn man sie sich anschaut, wird man unweigerlich mit der Frage konfrontiert, wer hier eigentlich pervers ist.

Als wir diese Aufnahmen gesehen haben, wussten wir sofort, dass das der Beginn unseres Films sein sollte, weil dadurch viele Ebenen entstehen, die mich am Filmemachen immer interessiert haben. In einem projizierten Film beobachten wir einen Kameramann dabei, wie er heimlich Filmaufnahmen von intimen Begegnungen macht. Der Kameramann, der sich auf unserer Seite der halbdurchlässigen Scheibe spiegelt, wirft den Blick auf uns selbst zurück und führt uns vor, was für eine voyeuristische Angelegenheit das Medium Film im Grunde ist.

Hinter den privaten Super 8-Aufnahmen von Hans und Oskar stand dieselbe Überlegung der Verletzung von Privatheit, die in unserer Geschichte eine große Rolle spielt. Die Frage, wie viel Privatheit dem Einzelnen zugestanden wird, ist eine, die auch uns heute beschäftigt, immer stärker sehen wir uns konfrontiert mit einem Blick, der das Explizite sucht. Er dringt in das Private ein, um auszuforschen, zu ordnen und zu kontrollieren.
 
War es wichtig, in einem echten Gefängnis zu drehen, wie Sie es gemacht haben?

GROSSE FREIHEIT | Film

SEBASTIAN MEISE: Die Zellen hätten wir natürlich im Studio nachbauen können, aber ich mag die Arbeit im Studio nicht, sie ist steril und abstrakt. Insofern finde ich den Dreh an Original-Locations essentiell, auch wenn er in unserem Fall mitunter kräftezehrend war. Im Winter war es kalt, die Zellen waren eng und muffig und die Distanzen in diesem riesigen Gebäude groß. Das hat für die Atmosphäre, die wir erzeugen wollten, aber auch geholfen. Wenn man wochenlang auf kleinstem Raum miteinander arbeitet, entsteht unweigerlich eine Intimität, die für unsere Geschichte enorm wichtig war. Dieser Ort, die Schicksale, die sich dort zugetragen haben, hatten oftmals etwas Bedrückendes und dadurch auch etwas Verbindendes. Ich glaube, dass die Umstände unter denen ein Film entsteht letztlich immer auf die ein oder andere Weise sichtbar werden. Das zuzulassen, finde ich wesentlich.

Wo haben Sie das Gefängnis gefunden?

GROSSE FREIHEIT | Film

SEBASTIAN MEISE: Fündig wurden wir im Osten Deutschlands. Da gab es zu dem Zeitpunkt, an dem wir suchten eine Menge alter leerstehender Gefängnisse. Das waren vielfach ehemalige DDR-Gefängnisse, die jetzt schrittweise abgerissen oder zu Gedenkstätten ausgebaut werden. Das Gefängnis, für das wir uns letztlich entschieden, verfügte über die für die Zeit, in der Film spielt, typischen Architektur mit offenem Mittelgang, der sich über alle Stockwerke erstreckt und ermöglicht, dass ein einziger Wärter mehr oder weniger den gesamten Überblick hat. Die Bauweise stand für eine Gesellschaft, die die allumfassende Überwachung anstrebte: Ein Motiv, das in unserem Film immer wiederkehrt. Kameras hinter Spion-Spiegel, Gucklöcher an den Zellentüren und Inspektionen mitten in der Nacht... Unsere Figuren stehen unter ständiger Beobachtung und werden dennoch nicht müde, sich ihre Freiräume zu erkämpfen.

Haben Sie von Anfang an an Franz Rogowski und Georg Friedrich für die Besetzung der Hauptrollen gedacht?

SEBASTIAN MEISE: Sie waren noch während der Arbeit am Drehbuch meine Traumbesetzung, und vermutlich hätten wir diesen Film ohne sie gar nicht machen können. Franz und Georg haben eine enorme Leidenschaft für das Schauspielen. Sie sind beide einzigartig, unprätentiös und geben sich gänzlich ihren Figuren hin. Franz hat vom ersten auf den zweiten Drehblock an die zwölf Kilo abgenommen, und Georg saß jeden Tag ab fünf Uhr Morgens in der Maske und hat sich seinen Körper mit misslungenen Tattoos und sein Gesicht mit Pockennarben bekleben lassen. Beide investieren viel, sind extrem genau und fordern dasselbe von der Regie. Das macht die Arbeit so intensiv.

GROSSE FREIHEIT | Film

Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass zwischen den Beiden eine ganz besondere Energie entstehen könnte, die jetzt letztlich das Herz dieses Films ist. Ich glaube, ich kann für sie beide sprechen, dass sie sich gegenseitig sehr schätzen – und eine der Hauptaufgaben der Inszenierung war es, die Chemie, die zwischen ihnen als Schauspieler und als Menschen besteht, so gut wie möglich einzufangen. Auch Anton von Lucke als Leo und Thomas Prenn als Oskar waren sehr wichtig für diesen Film. Sie vervollständigen diesen wundervollen Cast, den ich wirklich sehr liebe.

Es gibt im Film die eindrückliche Szene, wie Viktor mit groben Stichen die KZ-Nummer an Hans' Arm übertätowiert. Wie haben Sie versucht, die Zeitreise Ihres Films vom Kriegsende 1945 bis Ende der 60er Jahre filmisch in den Blick zu nehmen?

SEBASTIAN MEISE:  Dass die nationalsozialistische Bürokratie auch nach dem Krieg noch weitgehend in ihren Ämtern blieb, ist allgemein bekannt. Was im Fall der Verfolgung von Homosexuellen für mich völlig neu war, ist die Rolle der Alliierten. Da sie in ihren eigenen Ländern ähnliche Gesetze hatten, war es für sie offenbar rechtens, dass schwule Männer im Dritten Reich gefoltert und ermordet wurden. Das ergab dieses völlig verrückte Bild: Ein überlebender KZ-Häftling wird nach Kriegsende in ein Gefängnis überstellt und muss dort Hakenkreuze von Uniformen reißen. Für ihn hat sich nichts verändert. Ein System hat das andere abgelöst, und er ist immer noch illegal. Sein einziger Verbündeter wird sein Zellengenosse, ein verurteilter Mörder, der ihm mit einer bewegenden Geste neuen Mut macht. Gute zehn Jahre später hat sich der Vollzug bereits verändert. Im deutschen Wirtschaftswunder werden die Gefängnisse modernisiert, der Schimmel von den Wänden gekratzt, Sanitäranlagen installiert und das Nazi-Personal abgelöst durch dienstwillige Wärter, die daran glauben, Menschen durch harte Strafe bessern zu können. Unser Protagonist ist weiterhin illegal und er ist es auch noch weitere zehn Jahre später, als die Große Strafrechtsreform bereits vor der Tür steht und der Resozialisierungsgedanke langsam den Vollzug erreicht.

Wie haben Sie mit Ihrer Kamerafrau Crystel Fournier die Rolle des Lichts und die visuelle Sprache des Films festgelegt?

SEBASTIAN MEISE:  Grundsätzlich war uns klar, dass wir in jedem Bild bei unseren Figuren bleiben müssen. Der Film lebt von unseren Schauspielern, das ist in einem Setting, das wenig Abwechslung bietet, das einzig Interessante. Ein großes Anliegen war natürlich, das Gefühl des Eingesperrt-Seins zu erzeugen. Das schafft man letztlich nur, wenn man die Körper in einen Bezug zum Raum setzt. Eine der Grundfragen war, wie wir in den engen Gefängniszellen immer wieder die nötige Distanz zu unseren Darstellern schaffen können. Das konnten wir dadurch lösen, indem wir kleinere Zellen mit Stellwänden in größere hineingebaut haben. In der Auflösung haben wir uns stark an die emotionalen Stadien unserer Figuren in den jeweilige Zeitebenen orientiert. Die etwas höher aufgelösten 40er Jahre, die bewegteren, dynamischeren 50er und schließlich die 60er, in denen unsere Figuren und auch der Film zur Ruhe kommen.

GROSSE FREIHEIT | Film

Was ich an Crystel Fournier sehr schätze, ist die Einfachheit, mit der sie auf allen Ebenen arbeitet. Ihr Licht hat immer eine Logik und einen starken Bezug zur Realität. Eine einzelne Lichtquelle, ob eine Neonröhre oder eine Glühbirne, die hart von der Decke leuchtet, kann eine enorme Schönheit haben, weil es in der Regel das ist, was uns tagtäglich umgibt. Das perfekte Licht, bei dem alles weich und ausgewogen ausgeleuchtet ist, kennen wir letztlich nur aus dem Film. Ähnlich ging Crystel auch mit den Farben um, weil die Welt des Kunstlichts voller unterschiedlicher Temperaturen ist. Das verleiht dem Film eine Buntheit, die zu unserer Geschichte passt und die grau-blaue Gefängniswelt mit Leben füllt.

Welche Rolle kommt der sehr akzentuiert eingesetzten Musik in Ihrem Film zu?

SEBASTIAN MEISE:  Nils Petter Molvær und Peter Brötzmann sind zwei meiner Lieblingsmusiker und ich bin sehr glücklich, dass ich beide für unseren Film gewinnen konnte.
Ich sah diesen Film immer als eine Gratwanderung zwischen zwei Genres, dem Gefängnisdrama und dem Liebesfilm. Da gibt es die Rohheit und Hässlichkeit des Vollzugs und darin unsere Figuren, die versuchen, ihrem Leben einen tieferen Sinn zu geben, den sie einzig und allein in der Zärtlichkeit des Zwischenmenschlichen finden können.

Je weniger Musik man verwendet, desto mehr fällt auf, wenn sie fehlt. Die Leerstellen sollten demnach für das Gefängnisdrama mit all seiner Kargheit und Härte stehen. Was aber – um sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass man hier einen Liebesfilm sieht – mit der hingebungsvollen Solo-Trompete von Nils Petter Molvær regelmäßig gebrochen wird. Der Free Jazz von Peter Brötzmann am Ende steht für die Dekonstruktion, gleich einer kathartischen Entladung. Und natürlich darf auch ein Liebeslied am Ende nicht fehlen.

Sie haben Ihrem Film den Titel "Große Freiheit" gegeben. Was ist Ihr Begriff von Freiheit?

SEBASTIAN MEISE: Der Begriff der Freiheit ist mir ehrlich gesagt zu groß, als dass ich ihn fassen könnte. Mit Sicherheit sagen kann ich aber, dass es mir völlig schleierhaft ist, wie man Liebe kriminalisieren kann. Der Paragraph 175 war nicht nur inhuman, sondern auch verfassungswidrig. Der Staat wollte über Jahrzehnte hinweg nicht einsehen, dass er gegen diejenigen Menschenrechte verstoßen hatte, die er eigentlich verteidigen sollte. Diese Geisteshaltung spüren queere Menschen nicht selten auch heute noch. In unseren freien Demokratien scheint der Kampf nach Gleichberechtigung zwar weitgehend ausgefochten, die Rückkehr eines derartigen Paragraphen vorerst unwahrscheinlich, wenn man aber davon ausgeht, dass die Geschichte einer Kultur voller zyklischer Wiederholungen ist, wird einem bewusst, wie fragil dieses Gut ist. Die jüngsten Entwicklungen in Ungarn und Polen zeigen das.

Natürlich kann man diesem ständigen Kampf nach Anerkennung auch irgendwann überdrüssig werden und schafft sich dann lieber Parallelwelten, in denen man die Freiheit findet, die einem zusteht. Da wird der Begriff der Freiheit und auch der der Liebe dann ein sehr persönlicher. Unsere Hauptfigur Hans findet die Liebe ausgerechnet im Gefängnis. Und das ausgerechnet mit einem verurteilten, anfangs offen homophoben Mörder. Im Laufe der Arbeit an diesem Film bin ich immer wieder Leuten begegnet, die das Bedürfnis hatten, die Beziehung von Hans und Viktor zu definieren. Aber ist das wirklich wichtig? Brauchen wir denn für alles eine Kategorie? Diese beiden Menschen teilen etwas Tiefes und begegnen sich in ihrer Sehnsucht nach Liebe und Freiheit. Eine Sehnsucht, die, so stark die Unterdrückung auch sein mag, meiner Meinung nach immer einen Weg finden wird.

Interview: Karin Schiefer / Juni 2021
GROSSE FREIHEIT | Film

Eine kurze Historie des §175 in Westdeutschland

"Ich bin schwul." Lange hat es gedauert, das so zu sagen. Ungestraft. "Du und auf der Flucht?" – "Bin ich schon mein ganzes Leben!" Solche Dialoge klingen nur im Kontext eines Gefängnisfilms pointiert.

123 Jahre lang kriminalisierte der Paragraph 175 homosexuelle Männer – lesbische Liebesbeziehungen werden im Gesetzestext nicht erwähnt. Strafen von bis zu zehn Jahren Gefängnis wurden verhängt. Allein in der Bundesrepublik Deutschland wurden in der Nachkriegszeit 100.000 Männer vor Gericht gestellt. Der Paragraph ermöglichte es, Liebesbriefe abzufangen, sie zu konfiszieren, dem Gericht als Beweismittel vorzulegen, Kameras hinter Spiegeln zu installieren um in die letzte Privatheit der Männer vorzudringen und deren Intimsphäre der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen. Ein Szenario, das an George Orwells 1984 erinnert.

Überwachung, Erpressung, Denunziation, Folter und Mord. Wenn nicht von der Justiz vollstreckt, wie im dritten Reich, so von ihr gedeckt, in der Zeit danach. Der §175, der mehreren Generationen homosexueller Männer einen Namen gab – ein 175er war ein Schwuler – wurde nicht etwa übersehen, er wurde über die Jahrzehnte hinweg immer wieder aufs Neue begutachtet, beglaubigt und bekräftigt.

So bedeutete die Befreiung durch die Alliierten für Homosexuelle nicht Freiheit. Der von den Nazis verschärfte Paragraph 175 (*1872) wurde unverändert vom Nachkriegsdeutschland übernommen und KZ-Häftlinge geradewegs in Gefängnisse verbracht, um ihre rechtmäßige Reststrafe abzusitzen.

Es ist kaum verwunderlich, dass die Schwulen der 1950er und 1960er Jahre wenig empathisch und kaum öffentlichkeitswirksam auftraten. Homosexuell zu sein war schon kriminell. Und bis 1992 offiziell eine psychische Krankheit.

Erst 1969 fällt das Totalverbot der Homosexualität. Doch es würde noch weitere 25 Jahre dauern, bis der Paragraph 175 endgültig im Jahr 1994 aus den deutschen Gesetzbüchern verschwindet. Eine Rehabilitierung der 175er-Nachkriegsopfer passierte in Deutschland am 22. Juli 2017. Benachteiligungen, Stigmatisierung, Kriminalisierung, Ächtung, Bestrafung, Tötung von Homosexuellen herrschen je nach Geografie weiterhin vor: Weltweit steht Homosexualität in einem von drei Ländern unter Strafe.

Thomas Reider

 

DER §175 IN DER DDR

Nach anfänglichen Lockerungen Rückkehr zum §175 in der bis 1935 gültigen Fassung, wobei es in der Praxis selten zu Inhaftierungen kam. 1958 wird die Strafverfolgung im §8 des Strafergänzungsgesetztes de facto außer Kraft gesetzt. Im DDR-Strafgesetzbuch von 1968 wird der §175 durch den §151 ersetzt, der nur noch homosexuelle Handlungen eines Erwachsenen mit einem Jugendlichen unter Strafe erstellt. Im Dezember 1988 wird auch der §151 ersatzlos gestrichen.
GROSSE FREIHEIT | EIN FILM VON SEBASTIAN MEISE